Liebe Oma,
Wieder mal steh' ich vor grosser Runde,
Die zu Deinen Ehren angerückt,
Damit Dich aus des Enkels Munde
(Eine) Laudatio zum Jubiläum schmückt.
Nun, was soll ich gross erzählen?
19 13: klein Inge sah irdisch Licht.
Will nichts aus dem Geschichstsbuch schälen,
Und miterlebt, hab ich's ja nicht.
Aber ich weiss - nicht nur vom Hören,
Beweisphotos hab ich geseh'n! -
Als junge Frau konnt'st Du Männer betören.
Tja, die Inge war schon damals schön!
Und früh gereist ins Ami-Land
Konnt'st Du den Grundstein legen
Für Offenheit und Weite im Verstand,
Wo and're gerne Enge pflegen.
Dies hat wohl auch der Paul geliebt,
Mit dem Du Dich alsdann vermählt.
Und was es noch zu munkeln gibt?
Ich weiss nichts genau, hab' wohl gefehlt.
Leider hab ich auch geschwänzt,
Wie Du als Mutter Dich betragen.
Als Oma hast Du stets geglänzt,
Soviel kann ich sicher sagen.
Gesellig warst Du immer gerne
Und hast meist viel und oft gelacht.
Und von Reisen - nah und ferne -
Nicht nur Anekdoten mitgebracht.
Aber auch den heimischen Weh-Wehchen
Schenktest Du Dein waches Ohr
Und ertrugst auch ohne viel "Oh-Jeh"-chen
Manchen Schock mit viel Humor.
Verständnis für kurios(e) Gedanken
Konnte stets ich bei Dir finden.
Sicher gabs da anfangs manchmal Schranken,
Die konntest Du letztlich überwinden.
Heut' ist das Ohr nicht mehr so kräftig,
Das macht jetzt feine Technik wett,
Doch es freute mich, ganz heftig,
Wenn ich einstmals Dein Verständnis hätt!
Wir machten früher oft den Spass:
Wenn Du mal alt bist, fragst Du mich
Zittrig, klapprig: "Thomas, bist Du das?"
Schön zu seh'n - so ist es nicht!
Auch wenn Du nicht mehr die Welt umreist
Und Deine Schritte kleiner werden,
Dein Interesse -immer wach- beweist
Du bist ein wahrer Schatz auf Erden.
Mir war Dein Dasein selbstverständlich gar,
Unverwundbar schienst Du, bis mich schreckte
Die Nachricht von Krankheit letztes Jahr,
Die Deine Kräfte niederstreckte.
Heim und Garten - ohne Palme -
Die Du 37 Jahr' gepflegt,
Früh zu Bett und frei vom Qualme,
Hast ad akta Du gelegt.
Ein schwerer Schritt, so vom Rheine
In den kühlen Norden umzuziehen,
Ein Grund für viele, wie ich meine,
Dem Leben langsam zu entfliehen.
Doch restaurierte Sofaecke,
Gehirn-Jogging und Seidenmalerei,
Bewahrt vor früher Oma die Bettdecke
Und erfreut nicht nur die Enkelei.
'Drei Tage war der Frosch nun krank',
Ein Wilhelm Busch Zitat dazu,
'Jetzt raucht er wieder - Gott, sei Dank!'
Und genesen bist auch Du.
So möcht' ich auch noch viele Stunden
Mit Dir an der Seite, wenn 's beliebt,
Deine bunte Welt erkunden.
Schön, dass es Dich gibt!
Herzlichen Glückwunsch zu Deinem 90. Geburtstag!
Dein Enkel
Thomas Paul Fischer, 3. Januar 2003
Änderungen
Inge Braun, USA ca 1932
Inge & Paul Georgy, 1946
Meine Oma, Inge Georgy, geboren als Ingeborg Hedwig Lydia Braun, die eigentlich schon nicht 80 werden wollte (vergleiche die Laudatio zu ihrem 80ten), bereiste über achtigjährig noch fleißig die Welt, bevor sie sich mit 89 Jahren einer Operation unterziehen musste. Danach war sie in Köln mit der Pflege ihres geliebten Gartens und des Hauses überfordert und so musste sie beides aufgeben. Sie zog in eine Seniorenresidenz nahe Hamburg, zehn Gehminuten vom Haus meiner Mutter (ihrer Tochter) entfernt. Doch man hatte ihr das Rauchen verboten und sie vermisste ihre gewohnte Sofa-Umgebung, ging auf einmal früh zu Bett war nicht mehr recht lustig.
Nach Rücksprache mit mehreren Ärzten, die einen kompletten Nikotinentzug nach 70-jähriger Raucherei für zu krass hielten, überredete ich sie, obwohl selbst gerade zum Ex-Raucher mutiert, zu 3 Zigarretten am Tag, sorgte mit meiner Schwester für eine Anordnung von Sofa, Tisch und Fernseher, wie sie es von Köln gewohnt war und Oma war fast wieder die alte. Sie kehrte wieder zu ihrem gewohnten Nachtmensch-Dasein zurück und die Feier zu ihrem 90sten beendete ich jedenfalls mit ihr um etwa halb vier nachts mit einem Abschluss-Likörchen.
Leider kam kurz nach ihrem 93ten der Klassiker: Sturz und Oberschenkelhalsbruch mit Krankenhaus-Aufenthalt und erhöhter Keimbelastung, so dass die Rekonvaleszenz recht lang dauerte. Aber als dann auch die Augen trotz Brille nicht mehr zum Lesen reichen wollten, sagte sie mir am Ende eines Besuches, sie wolle nicht mehr, stellte das Sprechen ein und starb wenige Wochen später im Sommer 2006.
Oma fehlt!
©2015-2024, T.P.Fischer alias SicPaul