Der Kernpunkt des Genderns liegt in einem großen Irrtum, nämlich der Gleichsetzung von "Genus" und "Sexus". Das grammatische Geschlecht hat nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun. Nur, weil eine Minderheit in der Bevölkerung sich nicht angesprochen "fühlt", heißt es noch lange nicht, dass sie nicht angesprochen wird.
Das Deutsche verfügt über drei Genera: Maskulinum, Femininum und Neutrum. "Sexus" bezeichnet dagegen eine biologische Eigenschaft, die nicht mit dem Genus verbunden werden kann. Ein Satz wie "Der einzige Verwandte, den er noch hat, ist seine Schwester" könnte sonst gar nicht erst gebildet werden.
Ein Substantiv, das mit dem Suffix "-er" aus einem Verb gebildet wird, bezeichnet einfach eine Person (nicht Mann, nicht Frau, einfach Person), die die jeweilige Tätigkeit ausübt. Ein Wort wie "Lehrer" entstammt also dem Verb "lehren", und bedeutet keineswegs "Mann, der lehrt", sondern "Person, die lehrt". Dass davor ein männlicher Artikel steht, hat genau so wenig etwas über das Geschlecht der Person, die dahinter steht, zu sagen, wie der weibliche Artikel in "die Person".
Das generische Maskulinum ist lediglich die Grundform für movierte Wörter, die Funktions- oder Berufsbezeichnungen darstellen. Aus "Fahrt" und "fahren" wird "der Fahrer" oder "die Fahrer". Singular generisches Maskulinum, Plural im Femininum. Dabei ist mit "der Fahrer" oder "die Fahrer" jemand gemeint, der fährt. Also weder Mann noch Frau. Bei "Alle Verkehrsteilnehmer müssen an einer roten Ampel halten" ist das Geschlecht der Verkehrsteilnehmer völlig irrelevant, denn es geht um Personen, die am Straßenverkehr teilnehmen.
Wie unsinnig die Gleichsetzung von Genus und Sexus ist, belegen Fälle, in denen das generische Maskulinum nicht Personen, sondern Gegenstände bezeichnet, welche die mit dem Verbstamm bezeichnete Tätigkeit ermöglichen: der Schalt-er, der Wagenheb-er und der Feg-er.
Man kann beobachten, dass Wörter automatisch feminin werden, sobald man das Suffix "-ung" anhängt (die Meinung, die Besprechung). Durch Anhängen des Suffixes "-ling" wird jedes Wort maskulin (der Jüngling, der Abkömmling). Ein Wort bleibt feminin, wenn man das Substantiv "Kraft" anhängt (die Arbeitskraft, die Hilfskraft), auch wenn die Arbeitskraft aus Personen verschiedenen Geschlechts bestehen kann.
Wir sehen also, dass wir bei der Wortbildung entstandener Wörter keinerlei Aufschluss über das biologische Geschlecht erhalten (schön auch an der Umwandlung von Maskulinum zu Neutrum zu sehen bei "der Onkel" zu "das Onkelchen" oder bei der Umwandlung von Femininum zu Neutrum bei "die Magd" zu "das Mädchen").
Das generische Maskulinum wird in letzter Zeit vermehrt als diskriminierend geframt. Letztendlich ist das Gendern eine selbsterfüllende Prophezeihung. Wenn man Menschen ständig einredet, dass sie nicht mit angesprochen werden, dann glauben sie es auch irgendwann.
Wenn Gender-Befürworter sagen, dass man sich ans Gendern gewöhnen kann, kann man genauso sagen, dass man sich daran gewöhnen kann, dass das generische Maskulinum alle mitmeint, wie es auch der Fall ist.
Meiner Meinung nach sollte in der Grundschule das generische Maskulinum gelehrt werden, jedoch mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass sich das generische Maskulinum nicht auf die individuellen Personen bezieht, sondern auf den Begriff, unter den diese Personen fallen.
Einige fühlen sich durch das generische Maskulinum sprachlich ausgegrenzt. Die einen sagen "Sprache schafft Wirklichkeit", die anderen sagen, dass dem ein viel zu großer Wert beigemessen wird. Sprache sollte nicht verkompliziert werden, sondern sollte praktisch und effizient sein. Gegen ein kurzes "Bürgerinnen und Bürger" bei der Anrede ist nichts einzuwenden, aber kommt die Phrase mehrfach vor, werden Sätze länger und unverständlicher, wodurch die Botschaft des Gesagten untergeht. Wiederholtes Gendern stört den Lesefluss und lenkt vom Inhalt ab.
Erschwerend kommt hinzu, dass es keine einheitlichen Regeln gibt. Es gibt das Gendersternchen, den Doppelpunkt, den Unterstrich, den Schrägstrich, das Binnen-I, die Paarverwendung, substantivierte Partizipien und geschlechtsneutrale Formulierungen.
Das Gendersternchen nehme ich als sprachlichen Stolperstein wahr. Es führt auch zu obskuren Formen, wie z.B. Bürger*innenmeister*innen, Führer*innenschein, Freund*innenkreis, Nachbar*innenschaft, Fußgänger*innenweg und Kund*innenservice. Die Sprechpausen hören sich wie ein Schluckauf an.
Der Glottisschlag ist in der normalen Sprache kaum merkbar. Er wird gerade so lange gestaltet, dass man zwischen "vereisen" und "verreisen" akustisch unterscheiden kann. Dagegen werden Genderzeichen stets überbetont - mit einer längeren Pause - was sehr unnatürlich klingt. Die Mehrheit wird sich nicht an die holprig und unelegant klingenden Sprechpausen gewöhnen.
Das Problem mit dem Gendersternchen beschränkt sich nicht nur auf Substantive. Artikel, Adjektive und Pronomen werden auch mitgegendert. "Ich will eine*n nette*n Freund*in" funktioniert nicht in der Schriftsprache vernünftig, geschweige denn in der gesprochenen Sprache.
Es ist teils nicht mit der deutschen Grammatik kompatibel, z.B. kann der Dativ bei "Sie gab den Reporter*innen recht" nicht gebildet werden. Normalerweise heißt es "Sie gab den ReporterN recht" , aber beim Gendern wird das "n" weggelassen. Auch beim Genitiv stoßt man bei "Die Meinung des*der Autor*in" an seine Grenzen, weil das "s" bei "des AutorS" weggelassen wird. Es führt auch zu Problemfällen, wie z.B. bei Ärzt*innen, Kund*innen und Kolleg*innen. Was sind "ärzt", "Kund" und "Kolleg"?
Werden wir Sprichwörter wie "Der Kunde ist König", "übung macht den Meister" und "Der Klügere gibt nach" durch "Der/Die Kunde/in ist König/in", "übung macht den/die Meister/in" und "Der/Die Klügere gibt nach" ersetzen?
Einige geschlechtsneutrale Formulierungen können sich im Laufe der Zeit durchsetzen, wie z.B. "Pflegekraft" statt "Krankenschwester/Pfleger", "Redepult" statt "Rednerpult", aber andere wiederum nicht, wie z.B. "Flaniermeile" statt "Fußgängerzone" oder "Fahrzeugführende" statt "Fahrer".
Substantivierte Partizipien funktionieren nicht immer, weil die Form nur den augenblicklichen Zustand beschreibt und keine generelle Tatsache. "Studierende" sind ausschließlich Menschen, die gerade in diesem Augenblick aktiv studieren. Studenten hingegen können auch Menschen in den Semesterferien sein, die gerade 0,0 studieren. Zur Gruppe der "Lernenden" gehören nur diejenigen, die just in diesem Moment beispielweise vor einem Buch sitzen und lernen. Die Frau, die auf dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnimmt, kann man als "Radfahrende" beschreiben, allerdings nur bis sie zur "an-der-Ampel-Stehenden" wird.
Einige Menschen versuchen sogar "man" in "mensch" umzuwandeln, weil es nach "Mann" klingt. Statt "jemand" sagen sie "jemensch". Genauso absurd wäre es, das Siezen abzuschaffen, weil die Höflichkeitsform "Sie" weiblich klingt.
Wenn das generische Maskulinum unser Denken so stark prägt, warum ist die Verteilung der Berufe in Ländern mit genuslosen Sprachen ähnlich wie in Deutschland?
Häufig werden Studien genannt, die aufzeigen, dass Berufe im generischen Maskulinum formuliert eher mit Männern assoziiert werden. Es stimmt, dass man bei Handwerker, Elektroniker, Berufskraftfahrer und Klempner eher an Männer denkt, aber genauso denkt man bei Kindergärtner, Kosmetiker, Floristen und Friseure eher an Frauen.
Im Englischen denken die meisten Menschen bei dem Wort "engineers" auch erst an männliche Ingenieure, weil der Großteil der Ingenieure männlich ist, obwohl das Wort geschlechtsneutral ist. Das greift nicht nur bei Geschlechtern. Bei "Hochschullehrer" dürften die meisten Menschen eher ältere Personen im Kopf haben und bei "Straßenkünstler" eher jüngere Personen.
Waren in unserem Kindergarten nur Frauen als Erzieher tätig, so stellen wir uns darunter aller Voraussicht und der Kognitionspsychologie nach primär Frauen vor. Waren wir jedoch selbst in einem Kindergarten, in dem sowohl Frauen als auch Männer die Rolle des Erziehers übernommen haben, so koexistieren beide Geschlechter in unserer mentalen Repräsentation der Kategorie.
Dass wir bestimmte Berufsgruppen eher mit Männern und bestimmte Berufsgruppen eher mit Frauen verbinden, obwohl in beiden Fällen das generische Maskulinum verwendet wird, zeigt Folgendes auf: Es ist nicht die Sprache, die unser Denken maßgeblich beeinflusst, sondern unsere Erfahrungen und die in unserer Lebenswirklichkeit vorherrschenden realen Beispiele.
In erster Linie schafft Wirklichkeit Wirklichkeit. Ob wir bei Berufen eher Männer oder eher Frauen denken, hängt davon ab, wie viele Frauen und Männer diesem Berufsstand angehören. Und wenn doch Mädchen durch das generische Maskulinum immer eingebläut wurde, dass sie kein Arzt werden können, warum sind dann heute > 60 Prozent der Medizinstudenten Frauen? 70 Prozent der Apotheker sind weiblich, obwohl einem gesagt wird, dass man bei Risiken und Nebenwirkungen den Arzt oder Apotheker fragen soll.
Bei Lehrer, Politiker, Schauspieler, Musiker und Journalisten hat hingegen man eine geschlechtergemischte Gruppe im Kopf hat. Das Gleiche gilt auch für "Das Konzert hatte 5.000 Zuschauer", "Deutschland hat 83 Millionen Einwohner", "WhatsApp hat zwei Milliarden Nutzer" und "Alle Teilnehmer der Konferenz hörten aufmerksam zu". Ein weiteres Beispiel aus der Lebenspraxis: Wenn es "Heute Abend ist eine Party für Studenten" heißt, denkt keiner, dass das eine reine Männerparty ist.
Mir ist auch aufgefallen, dass viele Befürworter häufig nur bei positiv bis neutral besetzten Wörtern gendern. Bei Klimaleugner, Querdenker, Impfgegner, Verkehrssünder, Steuerhinterzieher und Reichsbürger wird häufig weiterhin das generische Maskulinum verwendet.
Wer gendern möchte, soll das tun, aber das darf nicht von oben verordnet werden, sondern muss auf natürlichem Weg passieren. Sprache ist immer im Wandel, aber der Wandel sollte von der Gesellschaft ausgehen und nicht von einer oder auch mehreren zentralen Entscheidungsinstanzen. Wer an Universitäten nicht in Hausarbeiten gendert, kann Punkte abgezogen bekommen. Da kann man schon von Zwang reden. Gendersprache wird auch von Behörden, Institutionen etc. verordnet. Es handelt sich um eine Top-down-Veranstaltung.
Wer nicht gendert, wird von Befürwortern häufig als reaktionär oder sogar sexistisch bezeichnet. Laut einer neusten Umfrage von Infratest dimap lehnen es 65 Prozent der Deutschen ab. Frauen wie Männer. Die Ablehnung ist sogar im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Man gewöhnt sich nicht dran, sondern ist davon genervt. Das ist eine akademisch-elitäre Elfenbeinturm-Diskussion, die an der Lebensrealität vieler Menschen vorbeigeht. Gendern ist in journalistischen Kreisen weit geläufiger als im Bevölkerungsdurchschnitt.
"Wir sprechen auch anders, als es Menschen vor 100 Jahren getan haben" ist kein Argument dafür, dass jede Form der Veränderung ein Fortschritt ist. Sie kann auch ein Rückschritt sein. Gendern ist keine natürliche Sprachveränderung. Sprachentwicklung wird nicht von "oben" verordnet, sondern kommt aus der Mitte der Gesellschaft, durch alltäglichen Sprachgebrauch. Eine lautstarke Minderheit von Sprachaktivisten versucht das der Mehrheit aufzudrücken.
Die änderung von Alt-, zu Mittel- zu Neuhochdeutsch und die vermehrte Verwendung von Anglizismen unterliegen einem natürlichen Sprachwandel. Das ergab sich im Laufe der Zeit. Es setzt sich das durch, was in der Alltagssprache dauerhaft genutzt wird. Meistens entwickelt sich Sprache in eine Richtung, die die Kommunikation vereinfacht. Sprachökonomie ist hierbei ausschlaggebend - also die Bestrebung, sich mit wenig Sprachaufwand kurz, einfach und verständlich auszudrücken. Das Gendern widerspricht dem Prinzip.
Ein weiteres Gegenargument: Man erschwert Ausländern die deutsche Sprache zu erlernen. Gegenderte Sprache wird auch umso weniger verstanden, je schwacher der soziale Hintergrund ist. Es ist ebenfalls eine Hürde für Menschen mit Lese- und Rechtschreibschwäche, weswegen Macron das schriftliche Gendern an Schulen verboten hat. Gendern gibt vor, "inklusiv" zu sein, aber hängt andere Bevölkerungsgruppen sprachlich ab.
Fun Fact: Die Sprachen in den Ländern Georgien, Armenien und der Türkei besitzen kein grammatisches Geschlecht. Dort geht es aber nicht gleichberechtigter zu als bei uns. Es hat keinen nennenswerten Effekt und ändert nichts an den realen Umständen. Respekt und Anerkennung lassen sich nicht über Sternchen und Striche bewerkstelligen. Wer glaubt, man könne das mit einer Wortendung herstellen, betreibt nur Kosmetik.
PS: Ich halte den Begriff "gendergerechte Sprache" für falsch, weil er schon eine Wertung beinhaltet. Dadurch wird ausgedrückt, dass Menschen, die nicht gendern, ein Gegner von Gleichberechtigung seien, weswegen ich grundsätzlich von "Gendersprache" spreche.
Zur Erinnerung, dies war ein Kommentar zum "MrWissen2go" YouTube-Video "Das Gender*sternchen: Sinnvoll oder Unsinn?" von "Gossip".